Der Greis und der Tod
by Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803)
Ein Greis von achtundachtzig Jahren,
Ein armer, abgelebter Greis
Mit wenigen schneeweißen Haaren,
Kam aus dem Walde, trug
Auf seinem krummen Rücken,
Ein Bündel Reis.
Ach Gott! der arme Greis!
Er mußte wohl sehr oft sich bücken,
Eh’ er’s zusammenlas?
Er hatte keinen Sohn, sonst hätte der’s getan.
Und weil vor Mattigkeit er nun nicht weiter kann,
So setzt er ab; und als er nun da saß
Bei seinem Bündel und bedachte,
Wie viel Beschwerde, Müh und Not
Das Bündel Reis ihm machte,
Wie viel sein bißchen täglich Brot;
Da seufzt er lebenssatt und weint und ruft den Tod.
“Befreie mich,” spricht er, “von aller meiner Not
Und bringe mich zur Ruh!”
Der Tod kommt an, geht auf den Rufer zu.
“Was willst du?” fragt er, “du!
Daß du mich hergerufen hast?
Du trägst auch eine schwere Last!”
“Ach, lieber Tod,” versetzt darauf
Der arme Greis, “hilf sie mir auf!”
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