Der Zeisig
by Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)
Ein Zeisig war’s und eine Nachtigall,
Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen.
Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen,
Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
»Ach welcher singt von beiden doch so schön?
Den Vogel möcht’ ich wirklich sehn!«
Der Vater macht ihm diese Freude,
Er nimmt die Vögel gleich herein.
»Hier«, spricht er, »sind sie alle beide;
Doch welcher wird der schöne Sänger sein?
Getraust du dich, mir das zu sagen?«
Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen,
Schnell weist er auf den Zeisig hin:
»Der«, spricht er, »muß es sein, so wahr ich ehrlich bin.
Wie schön und gelb ist sein Gefieder!
Drum singt er auch so schöne Lieder;
Dem andern sieht man’s gleich an seinen Federn an,
Daß er nichts Kluges singen kann.«
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