Das Spinnet
by Paul Heyse (1820-1914)
An dem Tandelmarkt vorbei
Ging ich heute, da es nachtet,
Hab’ ein buntes Allerlei
In den Buden dort betrachtet.
Ausgediente Flitterpracht,
Strandgut aus zerschelltem Glücke,
Waffen, die einst Tod gebracht,
Neben Karst und Bettlerkrücke.
Dieser Spiegel, heut so blind,
Weiß von festlich hellen Nächten:
Jener half dem Bauernkind
Seine blonden Zöpfe flechten.
Dort der Sessel, reich geschnitzt,
Weich mit Sammet ausgeschlagen,
Denkt er noch, wie er geblitzt,
Als er Fürstinnen getragen?
Muß er jetzt die Nachbarschaft
Jenes nackten Schemels leiden,
Drauf mit saurem Fleiß geschafft
Ehrsam Handwerk, treubescheiden?
Wie sich in des Friedhofs Reich
Nah gesellen Hoch und Nieder,
Macht die Zeit hier Alles gleich,
Giebt den Staub dem Staube wieder.
Aber dort das Mütterlein,
Dem erblichen längst die Locke,
Warum weint’s in sich hinein,
Still gebückt an seinem Stocke?
Was betrachtet’s unverwandt
Jenen alten Klimperkasten,
Dem wohl lang schon keine Hand
Rührte die vergilbten Tasten?
Und sie feilscht und schließt den Kauf,
Und den staub’gen Ladenhüter
Lädt ein Wagen sorglich auf,
Wie das köstlichste der Güter.
Mit der Alten hinterdrein
Schlendr’ ich jetzt und frag’ im Gehen:
„Warum habt Ihr, Mütterlein,
Euch dies Alterthum ersehen?
Habt Ihr wohl ein Enkelkind,
Das da spielen lernt und singen?
Diese Saiten, fürcht’ ich, sind
Schon zu morsch, um rein zu klingen.“
Und die Alte blickt mich an
Prüfend unter welken Lidern,
(Noch ein Tropfen hing daran)
Und dann hört’ ich sie erwidern:
“Lieber Herr, ich merk’ es klar,
Daß Ihr mich für närrisch haltet.
Aber denkt, wie wunderbar
Hier des Himmels Fügung waltet,
Daß er mich noch finden ließ
Diesen Freund vor meinem Tode!
Ach, da ich ein Kind noch hieß,
War er blank und in der Mode;
Stand in meiner Eltern Haus
Wohlgepflegt im besten Zimmer,
Und zu Tanz und frohem Schmaus
Klangen seine Saiten immer.
Doch am schönsten, wenn mein Franz
Sanft begleitete mein Singen,
Ach, bis eines Tages ganz
Lust und Lieder uns vergingen!
Denn die Eltern zürnten sehr,
Daß den Armen ich erwählte;
Doch sie trennten uns nicht mehr,
Die ein treuer Muth beseelte.
Und ich gab ihm meinen Schwur,
Folgt ihm in das dürft’ge Leben,
Bat, statt aller Mitgift, nur
Das Spinett mir mitzugeben.
Welche Freuden sah ich blüh’n
Unterm Dach an Seiner Seite,
Wenn nach Tages Last und Müh’n
Uns ein Lied den Abend weihte.
Oder wenn am Feiertag,
Seiner Lehrerpflicht entbunden,
Er, wie er am liebsten pflag,
Spielte, was er selbst erfunden.
Dann mein Jüngstes an der Brust
Saß ich hinter meinem Trauten,
Da die Größern schon mit Lust
Horchend auf den Vater schauten.
Doch die Sorgen wuchsen auf
Mit den Kindern um die Wette;
Ach, nach kurzer Jahre Lauf
Lag er auf dem Sterbebette.
Nie vergeß’ ich jene Nacht.
Wo er bat – ich hatte wieder
Angstvoll neben ihm gewacht –:
‛Singe mir die alten Lieder!’
Und ich spielt’ ihm jenes Lied –
Singen konnt’ ich’s nicht vor Thränen –
Jenes, das zuerst verrieth
Unser langverschwieg’nes Sehnen.
Bebend hört’ ich, wie auch er
Vor sich hin die Worte summte,
Und dann ward das Haupt ihm schwer,
Und sein blasser Mund verstummte.
Stumm an seinem alten Platz
Stand der treue Leidgefährte,
Bis auch diesem letzten Schatz
Mich die Noth entsagen lehrte.
Seitdem über meinem Haupt
Sah ich manches Jahr sich wenden,
Und ich hätte nie geglaubt,
Daß wir Zwei uns wiederfänden.
Aber da von aller Noth
Meine Kinder fern mich halten,
Soll auch er das Gnadenbrod
Finden bei der treuen Alten.
Rückt mein Stündlein sacht heran –
Ach, es braucht nur noch ein Kleines! –
In den Schlummer spielt mich dann
Meiner Enkelkinder eines.
Wenn ich dann des Liebsten Lied
Von den alten Saiten höre,
Mein’ ich, daß mich’s zu ihm zieht
In die hohen Engelschöre” –
Sprach’s, und ihre Stimme brach,
Und ich sah sie weiter wanken,
Stand und blickt’ ihr lange nach,
Still verloren in Gedanken.
Und mir war’s, als ob ein Klang
Durch die rost’gen Saiten ginge;
Leise mahnend, froh und bang’,
An den ew’gen Fluß der Dinge.
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